Lieber Goethe,
mein Theuerster, ich habe in meinem bewegten und gedrängten
Leben mich einer Versäumnis öfters schuldig gemacht und will
in dem gegenwärtigen Fall den Vorwurf ganz von mir ablehnen. Ja, schaudert,
wenn Ihr dies Bild seht. Soviel kann ich versichern, daß ich es für
Euch weder als Freund an Neigung, noch als Forscher an Theilnahme und Bewunderung
je habe fehlen lassen, ja daß ich oft etwas Wichtiges zur Anfrage
zu bringen gedachte, wodurch dann auf einmal alle bösen Geister des
Mißtrauens wären verscheucht gewesen. Doch hat das vorüberrauschende
Leben und anderen Wunderlichkeiten auch diese, daß wir in Thätigkeit
so bestrebsam, auf Genuß so begierig, selten die angebotenen Einzelheiten
des Augenblicks zu schätzen und festzuhalten wissen. Und so bleibt
denn im höchsten Alter uns die Pflicht noch übrig, das Menschliche,
das uns nie verläßt, wenigstens in seinen Eigenheiten anzuerkennen
und uns durch Reflexion über die Mängel zu beruhigen, deren Zurechnung
nicht ganz abzuwenden ist. Mich Ihnen und Ihren theuren Angehörigen
zu geneigtem Wohlwollen bestens empfehlend ergebenst
Heiner Link
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15.08.99
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