heiners zuhauseseite


eine laus im uhrgehäuse



komische gedichte von morgenstern bis gernhardt

Herausgegeben von Heiner Link


VORWORT



Lyrik hat wieder Konjunktur, heißt es nicht immer, aber immer öfter. Ob das stimmt, sei dahingestellt. Fest steht, dass das Gedicht auch in dieser Zeit, dominiert vom Getöse der Mainstreamkulturen, insbesondere des grassierenden Trash-TV’s, seinen Platz hat. Noch nicht mal der Rückfall zu den Rauchzeichen (SMS-Kommunikation) hat Lyrik wirklich verhindern können.

Nun sind die genannten Störfaktoren natürlich nicht wirklich welche. Für an Poesie interessierte Zeitgenossen ganz gewiß nicht. Derartige Faktoren werden aber immer wieder gerne ins Feld geführt, wenn es um den Zustand der Literatur als mittlerweile marginales gesellschaftliches Phänomen geht. Geht es um komische Literatur, in diesem Fall um komische Gedichte, könnte man natürlich fragen, ob sich die Spaßgesellschaft nun auch spaßige Gedichte leistet. Und darauf gibt es, abgesehen davon, daß der älteste in diesem Band vorgestellte Dichter, J.W.v. Goethe, vor über 250 Jahren geboren wurde und man mit Fug und Recht von einer Tradition des Komisch-Grotesken in der deutschsprachigen Literatur sprechen kann, selbstverständlich nur eine Antwort:


Selbstverständlich!

Das Komische steht in der Literatur komischerweise fast immer im Verdacht, nichts Ernsthaftes im Sinn zu haben. Im Jammertal der Literaturmoralisten wird es gerne an den Rand gedrängt, günstigenfalls als Ausnahmeerscheinung akzeptiert. Erstaunlich beispielsweise, wie präsent in diesem Zusammenhang „der schlesische Schwan“ Friederike Kempner


(Wehmütig/Demüthig/Viel verkannt und tief gebeugt/Ist der Mensch, vom Weib erzeugt)


noch immer ist. Als wäre diese „Dichterin“ ein Paradebeispiel für komische Lyrik. Um es gleich vorweg zu nehmen: Um das unfreiwillig Komische und allzu Humorige wollen wir uns in diesem Band nicht kümmern. Nein, wir wollen einmal Platz schaffen für das subversive und romantische Potential der Komik in der Lyrik. Für Gedichte, denen ganz und gar nichts Esoterisches oder Selbstreferentielles eigen ist, für eine Poesie der Bösartigkeit, die uns versöhnlich zu stimmen versucht.


Das Subversive und das Romantische? In diesem Zusammenhang drängen sich eben doch ein paar Überlegungen zum Fernsehen, dem aggressivsten und einflussreichsten Medium, man könnte aus lyrischer Sicht auch sagen, zum absoluten Gegenmedium, auf. Es kann dabei aber natürlich nicht um die Frage gehen, ob das Fernsehen der Poesie schadet. Schließlich besteht kein Konkurrenzverhältnis. Allerdings definiert das Fernsehen mittlerweile nicht nur eine bestimmte Vorstellung von Komik, sondern erhebt darüber hinaus den Anspruch, mit „komischen“ Mitteln eine Art gesellschaftliches Korrektiv darzustellen. Comedy heißt das Zauberwort, mit dem man die der Kunst und somit auch der Literatur angestammten Aufgabe, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, übernommen hat. Dass dies auch mit Quote gehen muss, ist das Credo, und wir wollen einmal nicht so humorlos sein, und es im Raum stehen lassen. Schließlich ist man auch in der Literatur, und dies muß eingestanden werden, der Quote nicht abgeneigt.


Betrachten wir also die Entwicklung der Mittel. Hatten wir mit Hans Joachim Kulenkampff noch feine Ironie im Äther, wurden die Zeiten mit Rudi Carrell schon deutlich spöttischer, erste Anzeichen von Hohn waren unübersehbar. Angekommen sind wir nun beim Kabel und bei Stefan Raab, dem nun wirklich nichts mehr heilig ist. Interessant ist, dass er, ebenso wie Harald Schmidt, ein blendender Zyniker, der auch von vielen Intellektuellen sehr geschätzt wird, das Geschäft des Entlarvens von Sprachhülsen als Hülsen betreibt. Selbst bei Schmidt aber aber erstarrt dabei der Prozess des Entlarvens ebenfalls zur Hülse. Zu oft bleibt nichts als blasierter Zynismus, und dem, und das wird niemand bestreiten, mangelt es nunmal an einem gewissen romantischen Element.

Es geht auch anders. Es gibt auch eine Komik, die dem System nicht zuarbeitet. Einen Gang zurückgeschaltet: Eine Komik, die nicht um ihrer selbst willen betrieben wird, sondern ein Vehikel, ein Instrument darstellt, das im wahrsten Sinne des Wortes kunstvoll eingesetzt wird. Eine Komik eben, die nicht mit Comedy verwechselt werden darf. Und die ist im zarten Medium Lyrik nicht nur bestens aufgehoben, sondern dort insofern in einer besonderen Qualität vertreten, als hier die Ambition erkennbar ist, den Empfänger nicht mit der bloßen Entladung durch Lachen zurückzulassen, sondern vielleicht einen Gedanken mitzuliefern, der einzunisten sich zumindest anschickt. In der komisch-grotesken Poesie wird ja immerhin eine Ästhetik mitgeliefert, die mindestens so facettenreich ist, wie der behandelte Zustand. Eine Ästhetik vor allem, die nicht den Eindruck der Erhabenheit, der souveränen Kontrolle erhebt. Die abstruse Vorstellung, man wäre dem System überlegen, ist dem Dichter fern. Der komische Dichter steht nicht wie ein Fels in der Brandung, und vor allem amüsiert er sich nicht auf Kosten anderer. Vielmehr ist er die Laus im Uhrgehäuse, im besten Sinn sogar der Furz im Uhrgehäuse. Wir behaupten ganz einfach, dass die komische Lyrik dem medialen Regentanz hoffnungslos überlegen ist. Und in diesem Scheitern begründet sich nicht zuletzt eine freigeistige Haltung, die die angesichts der Hochkonjunktur des Affirmativen natürlich obsolet geworden ist.



frei und schlecht


ich bin frei und mir ist schlecht.

warum sollte mir nicht schlecht sein?

freilich sollte mir schlecht sein,

und es ist mir auch schlecht.

es könnte mir allerdings auch

nicht schlecht sein.

dann würde ich sagen: ich bin frei

und mir ist nicht schlecht.



Dieses Gedicht von Ernst Jandl sagt eigentlich alles. Es ist erfreulich unmodern. Es schwingt frei und herzlich gegen einen beklemmenden Zustand. Es macht einem nichts vor, es macht nichts und niemanden geringer oder lächerlich. Vor allem aber steckt in diesem Gedicht die Gewissheit, dass es eben nicht obsolet ist. Ist dieses Gedicht nicht geradezu für all die Manager geschrieben, die auch nur eine Laus im Uhrgehäuse sind? Man darf zumindest spekulieren.


Was aber ist das nun genau, das Komische? „Der Kollaps von Erwartungsschemata?“ „Angeschauter Widerspruch?“ „Scheitern in Grazie?“ „Die Interferenz verschiedener Lebenswelten?“ Um nur ein paar besonders gelungene Formulierungen aus der Welt der Theorie zu nennen. Alles wahr, aber nichts wirklich, könnte man sagen. Auf einen allgemein gültigen Komikbegriff hat sich die Theorie nie einigen können. Einer, der es einsah, Odo Marquard, kam schließlich zu dem Schluß: „Komisch ist etwas, mit dem man nicht fertig wird, schon gar nicht durch eine Theorie.“ Es wäre also sicherlich übertrieben, in dieser kleinen Einführung die umfangreichen theoretischen Bemühungen zum Thema Literatur und Komik zu rekapitulieren, geschweige denn mit einer wie auch immer gearteten Vision aufzuwarten. Es erscheint mir aber wichtig zu erwähnen, dass in diesem Band hauptsächlich Gedichte aufgenommen wurden, in denen Komik durch Sprache und/oder Inhalt erzeugt wird. Um das weite Feld etwas einzugrenzen, war es notwendig, bestimmte Gattungen wie z.B. Konkrete Poesie, Visuelle Poesie, Lautpoesie etc. auszuklammern.


Autoren wie H.C. Artmann, Robert Gernhardt, Ernst Jandl, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Kurt Schwitters, Kurt Tucholsky, um nur einige wenige Namen zu erwähnen, haben nicht nur längst ihren festen Platz in der Literaturgeschichte, ihre Werke werden geschätzt und gelesen. Aber sie stehen nicht nur für die Haltbarkeit grotesker Literatur. Daß diese Dichter heute so geschätzt werden, deutet auch an, daß die Komik gerade in diesen Zeiten ein funktionierendes Instrument für die Literatur sein kann. Komik, und das sollen die Gedichte dieses Bandes unterstreichen, kann eine populäre Oberfläche schaffen, ohne ins Oberflächliche abzudriften.




Bei der Architektur dieses Bandes wurde der so gängig gewordene Rubrizierungswahn bewusst nicht verfolgt. Die Gedichte sollen so ungeknebelt für sich stehen, wie sie entstanden sind. Über die Bedeutung und Einordnung der Dichter und ihrer Werke soll alleine der Leser entscheiden. Die Ordnung ist demzufolge denkbar einfach nach dem Geburtsjahr der Autoren gestaffelt, beginnend mit Goethe, endend mit dem 1974 geborenen Raphael Urweider. Nebenbei erwähnt, man rufe sich den Untertitel in Erinnerung, überschreitet die Bandbreite dieses Buches die Propaganda doch beträchtlich: Es steht mehr drin, als vorne drauf.


Daß es in diesem Band inhaltlich oft um Liebe, Lust und Leidenschaft geht, liegt nicht nur an den Vorlieben des Herausgebers. Dies sind nun mal Themen, die in der Poesie bereitwillig und berechtigterweise verhandelt werden. Jens Jessen hat in einer Rezension in der ZEIT beispielsweise sehr treffend formuliert: „Seltsam, wie gut sich der Beischlaf zum lyrischen Sujet eignet; wahrscheinlich weil er zur Konzentration zwingt.“ Wie dem auch sei, das allzu Zarte ist sicher kein Anliegen der komischen Lyrik. Vielmehr wird der sanktions- und regelfreie Raum, den das Groteske anbietet, zur Neige ausgekostet. Fast überflüssig also, abschließend zu erwähnen, daß mit diesem Band durchaus der Eindruck erweckt werden soll, daß es in der deutschsprachigen Lyrik nicht ausschließlich um Depression und Schwermut geht.


Im Gespräch mit Johann Peter Eckermann zitierte Goethe Wieland mit den Worten: „Man könnte die Leute wohl amüsieren, wenn sie nur amüsabel wären.“ So negativ muß man es nicht unbedingt sehen. Ich plädiere ganz einfach für ein kräftiges: Wohlan!


Heiner Link, im März 2001