Lou A. Probsthayn




Geboren 1960 in Ostberlin
Freier Autor , Lebt in Hamburg
zuletzt erschienen:
"Dumm gelaufen", Achilla Presse, Hamburg-Bremen, 1996
"Egal", Achilla Presse, Hamburg-Bremen, 1997
"Die Welt ist Hund", Achilla Presse, Hamburg-Bremen, 1997

Der Text "Warten auf Pernod" erschien erstmals in
"Trash-Piloten, Texte für die 90er", Reclam Verlag Leipzig, 1997

Warten auf Pernod!                   © Lou A. Probsthayn
 

Um die Inseln aus Katzenstreu stand brennender Urin. In ihm trieben
Katzes Exkremente. Seit zwei Wochen hatte Müller X die Toilette
nicht mehr gereinigt. Die letzten trockenen Krümel des Seelachs
im Jus hatte Katze mit viel Speichel vor Tagen noch zum Schlucken
bringen können. Seitdem standen die Schüsseln leer.
Müller X hatte Katze einfach vergessen, als sein Trinken immer mehr
Form angenommen hatte. Katze trank hin und wieder auf der Toilette
von Müller X, wenn dieser nicht vergessen hatte, seine Scheiße wegzuspülen.
Und Katze hatte zum Glück die Nacht immer für sich, nur am Tag
teilten sie sich die Wohnung, wenn Müller X breit auf dem Bett lag.
Katze hatte auch aufgehört zu schnurren. Und seine warmen Hände
hatten längst aufgehört ihren Rücken zu kosen. Und Miau sagte
sie auch nicht mehr. Das hatte alles keinen Sinn. Das führte zu
nichts. Und wenn er „Miez, Miez, Miez" lallte, einen Dialekt,
den Katze nicht gelernt hatte, blieb sie einfach in ihrem Versteck.

Katze wußte, daß sie über kurz oder lang in dieser Wohnung krepieren
würde. Eine Flucht war ihr bisher mißlungen. Wütend fuhr sie mit
ihren Krallen durch den Kratzbaum. Und sie dachte, dachte sich
viele Pläne aus und grinste nach Nächten ein Grinsen, das noch
nie eine Katze zu grinsen gewagt hatte.
„Katzen haben sieben Leben", raunte Katze, „So'n Quatsch!" Aber
drei bis vier Wochen ohne Futter traute sie ihrem Leben schon
zu.
Dann würden sie Müller X finden. Stinkend. Gärend. Und sehr tot.
Dann würde man Katze finden, vielleicht symbolisch unter dem Nierentisch, 
denn Katzen fressen Nieren, bis auf die Knochen abgemagert,
Mitleid maunzend, und warme Hände würden das Elend von Tier vom
Boden aufgreifen.
Das Grinsen in Katzes Gesicht hätte Müller X mißtrauisch werden
lassen. Aber sein Leben war eine zitternde Hand, waren kleine
Getiere, die in seinen Poren lebten, und war dann eine ruhige
Hand, nach dem zweiten Sauren aus dem Wasserglas.
Katze kratzte am Kratzbaum. Katzen kratzen am Kratzbaum, so sind
Katzen, und Müller X legte weiter seine Eingeweide ein. Katze wartete
auf Pernod. Müller X schluckte nur billigen Fusel. Katze wartete
auf den 1ten im Monat. Müller X wartete auch auf den 1ten.
Der 1te ließ Katze nicht lange warten. Und Müller X brachte Pernod
mit nach Haus. Katze grüßte Pernod. Müller X nahm Pernod so wie
er ist, gelb, pur und warm, mit in die Badewanne. Und Katze ging
auf kurze Zeit schlafen. Müller X feierte die Sozialhilfe, trank
und pißte beim Baden.
Katze tatzte erst mit der Nach ins Bad, beobachtete einen Teil
von Müller X, seinen Kopf und seinen nackten Arm, der über den Wannenrand
hing. Und Katzes Grinsen wurde zum Tod. Sie sichelte ihre Krallen
in die Pulsadern von Müller X und Katze kratzte an seinem Arm, wie
Katzen am Kratzbaum kratzen. Müller X blieb Schlaf im Bad.
Katze sah Rot, dann ein rotes Rinnsal, später roten Sprudel, und
das Rot wurde ein langer, ruhiger Fluß.
Es dauerte noch sieben Tage. Zum Glück haben Katzen auch sieben
Tage. Und die Tür ging auf. Überall roch es nach Müller X. Extrem
im Bad. Dann wurde Müller X gefunden. Stinkend. Gärend. Und sehr
tot. Dann wurde Katze gefunden, unter dem Nierentisch, bis auf
die Knochen abgemagert, Mitleid maunzend, und warme Hände griffen
das Elend von Tier vom Boden auf.
„Suizid", ernüchterte sich der Beamte beim Anblick von Müller X
in der Badewanne.